Strasbourg die kalte Schulter gezeigt - Das Schweizer Parlament will das Klimaurteil des EGMR nicht befolgen
Episode 56 – Juni 2024
Das Schweizer Parlament will sich um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Siche Klimaseniorinnen foutieren. Mit grossem Mehr haben die Schweizer Parlamentarierinnen damit eine europaweit einmalige Situation geschaffen, und ein Präjudiz: dass sich ein Land um ein Urteil aus Strasbourg nicht kümmern will. Und das in einer so zentralen, vitalen Angelegenheit wie dem Klimaschutz. Für die Rechtswissenschaftlerin Corina Heri von der Universität Zürich ist diese Haltung schockierend, und sie ist damit nicht allein. Im Gespräch erklärt sie, warum dieser Beschluss des Schweizer Parlaments gefährlich ist - und ein nie dagewesener Rückschlag für die Durchsetzung von Menschenrechte beim Klimaschutz.
Abonniere tre!bhaus – der klimapodcast auf Soundcloud, Spotify und iTunes.
Die Hintergrundinformationen zur Episode
Etwa drei Jahre lang hat die grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über die Klage der Klimaseniorinnen gegen die Schweiz diskutiert, hat Expert:innen vorgeladen, sich die Parteien mehrmals angehört. Und ist schliesslich in einem grundlegenden Entscheid zum Schluss gekommen, dass die schwache, unzulängliche Klimapolitik der Schweiz die Menschenrechte der Klägerinnen verletzt. Das Urteil ist wegweisend und wird, sagt die Rechtswissenschaftlerin und Völkerrechtlerin Corina Heri von der Universität Zürich, für andere Gerichtsentscheide eine wichtige Grundlage liefern. Nur gerade ein paar Stunden brauchten der Ständerat, und nur gerade 45 Minuten der Nationalrat, um messerscharf den Schluss zu ziehen, dass der EGMR seine Kompetenzen überschritten habe, sich von falschen Vorstellungen habe leiten lassen, und damit, so der Tenor, die Souveränität der Schweiz verletzt habe.
Das Schweizer Parlament leistet mit diesem Entscheid nicht nur dem Schutz vor der fossilen Klimakrise einen Bärendienst, es sendet auch ein verheerendes Signal an alle anderen Staaten: dass Urteile aus Strasbourg nur von Fall zu Fall zu befolgen sind. Die Schweiz provoziert damit eine eigentliche Verfassungskrise, nicht nur nach innen, sondern auch im System des europäischen Menschenrechtsschutzes; und gibt zu verstehen, wie sehr man sich hierzulande als «Musterknabe» in Sachen Menschenrechte sieht, gegen alle Evidenz.